Die Reise durch den Verdauungstrakt

Mit kaum etwas beschäftigen wir uns so viel, wie mit der Fütterung unserer Pferde – und das ist auch gut so. Egal ob Shetland Pony oder Shire Horse, Sportpferd oder Freizeitkumpel, Fuchs oder Rappe: Sie alle können nur lange gesund leben, wenn die Fütterung passt. Um zu verstehen, was eine „passende Fütterung“ bedeutet, müssen wir erst einmal die Verdauung des Pferdes genauer betrachten.
 

Erste Station: Das Pferdemaul

Wir starten unseren Rundgang durch den Verdauungstrakt des Pferdes in der Maulhöhle. Sie dient der Aufnahme, dem Zermahlen und dem Einspeicheln der Nahrung. Das bereitet den Magensaft, die Magensäure und die Enzyme der Bauchspeicheldrüse auf die Ankunft des Futterbreis vor. Die Anzahl der Kaubewegungen bestimmt nicht nur die Menge des produzierten Speichels, sondern nimmt auch Einfluss auf das Sättigungsgefühl des Pferdes: Mehr Kauschläge führen zu einem geringeren Hungergefühl. Die Zähne des Pferdes sind an die Aufnahme von hartstängeligem Gras angepasst und auf ständigen Abrieb ausgelegt. Deswegen ist es wichtig, dass die Futterration genügend strukturierte Rohfaser enthält.
 

Der Weg in den Magen

Über die Speiseröhre gelangt die Nahrung nach dem Zermahlen in den Magen. Auf dem Weg dorthin gibt es einige Engstellen, die dem Pferd Probleme bereiten können, wenn es zu große Futterbestandteile unzureichend zerkleinert und eingespeichelt abschluckt. Dann besteht die Gefahr einer Schlundverstopfung.
 

Der Magen: Klein aber oho!

Der Magen ist mit 15L Fassungsvermögen bei mittelgroßen Pferden ziemlich klein und kann sich auch nicht nennenswert dehnen. Deswegen sind kleine Futtermengen, die langsam und kontinuierlich den Magen erreichen, optimal für das Pferd. Im Magen startet die Eiweiß-, Fett- und Stärkeverdauung. Der Magen ist kein Speicherorgan, sondern transportiert das vorverdaute Futter anschließend weiter in den Dünndarm. Stark eingespeicheltes, faseriges Futter leitet der Magen schneller weiter. Große Mengen an Kraftfutter, vor allem Getreide, verbleiben länger im Magen. Das führt dazu, dass schon im Magen eine beginnende Vergärung der enthaltenen Stärke stattfindet. Die dabei entstehende Milchsäure wirkt sich negativ auf die Magengesundheit aus. Daher sollte Kraftfutter in kleinen Mengen gefüttert werden.

Gucken wir uns den Magenaufbau noch etwas genauer an: Grundsätzlich ist der Magen in zwei Bereiche gegliedert. Im drüsenlosen, oberen Teil baut die dort lebende Bakterienflora leicht verfügbare Kohlenhydrate zu kurzkettigen Fettsäuren ab. Im drüsenhaltigen Bereich mischen sich Magensaft und Futterbrei. Die im Magensaft enthaltene Salzsäure tötet Keime ab, die somit nicht in den Darm gelangen können. Hier beginnt nun auch das Enzym Pepsin mit der Eiweißverdauung.
 

Der Dünndarm, das Herzstück der enzymatischen Verdauung

Im 20-25m langen Dünndarm stoßen nun das Sekret der Bauchspeicheldrüse und die Gallenflüssigkeit zum Futterbrei dazu. Da das Pferd keine Gallenblase besitzt, strömt die Galle kontinuierlich von der Leber in den Dünndarm. Verdaut werden hier Kohlenhydrate, Proteine und Fette durch körpereigene Enzyme. Das Enzym, das für die Verdauung von Stärke zuständig ist (Amylase), weist beim Pferd nur eine geringe Aktivität auf und kann sich an verschiedene Arten und Mengen von Stärke nur schwer anpassen. Vor allem stärkehaltige Futtermittel, die nicht thermisch oder mechanisch aufgeschlossen wurden, sind für den Pferdedarm nur schwer abbaubar. Eiweiße verdaut das Pferd im Dünndarm mit Hilfe der Enzyme Trypsin und Chymotrypsin. Für die Verdauung von Fett ist die Lipase zuständig. Um möglichst effektiv Nährstoffe aufnehmen zu können, ist die Wand des Dünndarms mit so genannten Zotten ausgestattet. Lediglich die Faseranteile des Raufutters und Nährstoffe, die an diesen gebunden sind, gelangen überwiegend unverdaut an den Dickdarm.
 

Das Pferd - ein effizienter Dickdarmverdauer

Im stark erweiterten Dickdarm, der aus dem Blinddarm, Grimmdarm und Mastdarm besteht, kommt es nun zur Verdauung der Rohfaser durch Mikroben. Darunter fallen Cellulose, Hemicellulose und sonstige noch nicht verdaute Kohlenhydrate. Die Darmflora baut Rohfaser zu Glukose und flüchtigen Fettsäuren ab. Insgesamt ist der Dickdarm für die Durchmischung des Futterbreis, die Aufspaltung und Aufnahme von Nährstoffen, sowie für den Weiter- und Abtransport des Nahrungsgemischs zuständig. Er synthetisiert wasserlösliche Vitamine und ist zu großen Teilen am Wasser- und Elektrolythaushalt beteiligt. Die Passage der Nahrung im Dickdarm kann bis zu 45 Stunden dauern. Während der Passage dickt der Inhalt immer weiter ein, bis das Pferd ihn in Form der typischen Pferdeäpfel ausscheidet.

Welche Vorgaben ergibt die Verdauungsphysiologie nun für eine pferdegerechte Fütterung?

Raufutter als Grundlage jeder Ration 
Raufutter, wie Heu, Heulage oder Stroh, liefert nicht nur Energie. Viel mehr dient es der Beschäftigung, der Stillung des Kaubedürfnisses und ist vor allem wichtig für eine ungestörte Verdauung. Raufutter frisst das Pferd unter gründlichem Einspeicheln langsam, wodurch die optimalen Voraussetzungen für eine gesunde Magenfüllung und -entleerung gegeben sind. Des Weiteren sind die Mikroorganismen im Darm auf eine kontinuierliche Zufuhr von Rohfaser angewiesen, um effektive Verdauungsprozesse zu gewährleisten.
  • Als Faustregel gilt: 1,5 bis 2kg Heu je 100kg Körpergewicht und Tag
  • Da Heulage einen höheren Wassergehalt hat, muss die Menge hier entsprechend höher liegen.
  • Mehr zum Thema Raufutter findest du auch im Themenweltartikel „Die Notwendigkeit von Grundfutter“.
 
Vorsicht mit Getreide
Getreide liefert viel Energie und kann in kleinen Mengen gut als Energiequelle dienen – solange keine Vorerkrankungen vorliegen. Da das Enzym, das Stärke abbaut, jedoch nur begrenzte Kapazitäten hat, kann das Pferd große Mengen an Stärke im Dünndarm nicht mehr vollständig verdauen. Die nicht abgebaute Stärke gelangt dann in den Dickdarm und dort fermentieren die Bakterien. Dieser Prozess führt dazu, dass sich Milchsäure und Gase bilden, der pH-Wert sinkt und die Verdauung gerät aus dem Gleichgewicht.
  • Als Faustregel gilt: Maximal 1g Stärke je 1kg Körpergewicht und Mahlzeit, maximal 2g Stärke je 1kg Körpergewicht und Tag
  • Bedeutung für die Praxis: Ein 500kg Pferd bekommt beispielsweise maximal 1,25kg Hafer / Mahlzeit und 2,5kg Hafer / Tag. Um den Verdauungstrakt zu entlasten, sollte man ein Getreide mit einer hohen Verdaulichkeit füttern oder aber das Getreide, wo möglich, sogar gänzlich durch andere energieliefernde Futtermittel ersetzen. Dies ist vor allem bei Pferden wichtig, die bereits an Stoffwechselerkrankungen leiden oder Probleme mit dem Verdauungstrakt haben.
  • Mehr zum Thema Getreide, Stärke und zur getreidefreien Fütterung findest du in den Themenweltartikeln „Stärke in der Pferdefütterung“ und „Getreidefreie Fütterung - warum?“.
 
Hohe Energiedichte durch Fette/Öle in der Ration
Der Einsatz von Fetten und Ölen dient dazu, eine hohe Energiemenge bei recht geringen Mengen zu verfüttern. Vor allem pflanzliche Öle bieten eine hohe Akzeptanz und Verdaulichkeit. Um Verdauungsstörungen vorzubeugen, sollte langsam mit der Ölfütterung begonnen werden. Außerdem erfolgt die Ölfütterung bestenfalls auf mehrere kleine Mahlzeiten verteilt. Durch die fehlende Gallenblase kann das Pferd die Fette sonst nicht optimal nutzen und unverdautes Fett stört die Darmflora.
  • Als Faustregel gilt: Maximal 0,5g Fett je 1kg Körpergewicht und Mahlzeit, maximal 1g Fett je 1kg Körpergewicht und Tag
  • Mehr zum Thema Fett und Energie findest du auch im Themenweltartikel „Energiequellen in der Pferdefütterung“.
 
Proteine – Wichtige Bausteine für den Muskelstoffwechsel
Eiweiße dienen nicht nur der Energiegewinnung, sondern sind auch essenziell wichtig für den Aufbau von Körpergewebe, wie den Muskelaufbau und -erhalt. Trotzdem sollte der Anteil an Protein in der Ration nicht zu hoch sein: Nicht genutztes Protein muss das Pferd zu Harnstoff abbauen und das belastet Leber und Niere zusätzlich. Statt auf Quantität sollte man daher vor allem auf Qualität setzen: Denn ein Pferd kann nur die Eiweißquellen für sich nutzen, die es vor der Dickdarmpassage verdauen kann. Eine hohe Eiweißqualität bedeutet ein hoher Anteil dünndarmverdauliches Eiweiß am Gesamteiweißgehalt im Futtermittel. Einen erhöhten Eiweißbedarf haben Fohlen, Jungpferde und laktierende Stuten.
  • Als Faustregel gilt: Knapp 10% Rohprotein in der Ration sind wünschenswert, mehr als 14% sollten es nicht sein.
  • Mehr zum Thema Proteine findest du auch im Themenweltartikel „Eiweiß in der Pferdefütterung“.

Janina Beule, BSc. Ökologische Landwirtschaft
März 2022, © Agrobs GmbH

 


Quellen:

  • Bender, I. (2009): Praxishandbuch Pferdefütterung. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
  • Coenen, M.; Vervuert I. (2020): Pferdefütterung. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
  • Gäbel, G.; Loeffler, K.; Pfannkuche, H. (2018): Anatomie und Physiologie der Haustiere. 15., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart
  • Kamphues et al. (2014): Supplemente zu Vorlesungen und Übungen in der Tierernährung. 12. Auflage, M. & H. Schaper
  • Vervuert, I. (2019): Fit gefüttert. URL: https://www.bfh.ch/dam/jcr:4156c52a-40ce-4705-9a58-dbdc2fc472b5/vervuert-fit-gefuettert-brennpunkt-pferd-2019.pdf